Münchner Sichten_part 3
Jugendsprache II
von GUISEPPE DI PIZZA
Bevor wir uns heute der Verfasstheit der Münchener und Wolzacher Jugendlichen widmen, soll zunächst noch einmal der Pfaffenhofener anhand seiner Sprache näher spezifiziert werden. Bei dieser Gelegenheit könnte auch eine Ehrenrettung unternommen werden, nachdem der Autor das letzte Mal sehr hart mit dem jungen Pfaffenhofen ins Gericht gegangen ist.
Die wichtigste Vokabel, das wurde in der letzten Folge verschwiegen, ist zweifelsohne diejenige, welche einen Zustand beschreibt, der nichts weiter zu wünschen übriglässt: pässt. Wird die Güte einer konkreten Sache hervorgehoben so heisst es über diese Sache (gleich welchen Genus diese Sache auch ist) “der pässt”. Die Herkunft ist nicht schwer zu erraten, basst scho. Dieser Ausdruck, der schon eine Geisteshaltung ist, ist aber von der in pässt ausgedrückten Zufriedenheit doch entfernt, bedeutet basst scho dagegen nicht zwingend etwas zufriedenstellendes, sondern bloß dass einem nicht der Himmel auf den Kopf gefallen ist. Es könnte aber sein, dass man heute das pässt benutzt, früher ein basst scho gestanden hätte - und der junge Pfaffenhofener mit allem zufrieden ist, was die Mutmaßung vom letzten Teil unterstützt.
Diese Deutung ist jedoch abzulehnen, immerhin pässt heute selbst bei notorisch Slangkundigen noch nicht alles.
Auch wenn einem vieles pässt, vieles sogar zweimal “pässt, pässt” - zu allem sagt man keineswegs pässt - und schon garnicht “der pässt”. Eine solche verantwortungsvolle Dosierung des pässt lässt auf eine gesunde, kritische Haltung schließen.
Ein weiteres, hervozuhebendes Pfaffenhofener Spezifikum ist die Tatsache, dass die Mutter hier nicht, ganz normal, wie überall sonst auch, auf amerikanisch, adressiert wird - Mum, sondern dass man es hier geschafft hat, eine wesentlich amerikanischere Art, metaamerikanisch sozusagen gefunden hat - die Määm. Hier ist er wieder, der Drang nach Größerem, nach mehr. Das ist durchaus ein Statement, wenn man nicht nur von einer Mum abstammt - sondern von der Määm.
In Wolnzach dagegen, genauso wie in München, spricht von seiner Mutter selbstverständlich als der Mum. Während aber etwas sehr gutes, und lässiges in Wolnzach und Pfaffenhofen gleichermaßen chillig ist - ist es dagegen gechillt in München. Einerseits aktiv im Hopfenland - andererseits passiv in der Stadt, wie kommt nun das zustande?
Vielleicht, weil der Stoderer noch eher den Bezug zum Ursprung hat, to chill, chilled, und der Bezug zum kiffen, zum chillen hier noch offenbarer ist als auf dem Land, wo diese Verbindung schon weitgehend gekappt wurde.
Weiterhin kann dieser Unterschied aber auch damit erklärt werden, dass der Münchener alles was pässt bereits vorfinden kann, es sich einfach nur zu nehmen braucht. Pfaffenhofener und Wolnzacher Heranwachsende sind in dieser Beziehung eher auf sich allein gestellt, und müssen aufgrund fehlender Infrastruktur selbst dafür Sorge tragen, dass es chillig wird.
Ferner kann damit festgestellt werden, dass man in München eher an der Décadence leidet, weil wenn alles, was chillig ist, schon vorhanden ist, dieses leicht schal werden kann.
Auf dem Land ist man währenddessen noch mehr mit der Herstellung eines chilligen Zustands beschäftigt, als dass man dessen überdrüssig werden könnte, also bodenständiger.
Dieser Befund wird aber durch die folgenden Beispiele relativiert, nach denen ebenfalls die Wolnzacher Jugendkultur Déadence-ähnliche Verfallserscheinungen zeigt:
das chillig wird hier nämlich noch weiter verfeinert, nämlich zum “zu chillig”, derb, welches als Synonym für gut auch eher hier als andernorts Verwendung findet, kommt in “zu derb” voll zur Entfaltung, und, und hier unterscheidet man sich vollends, das superlative gut ist “zu g’stört”.
Die hier vorgestellten Adjektive lassen auf eine fast schon nihilistische Verkennung des Unterschieds zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen schließen. An anderer Stelle wurde diese Geisteshaltung bereits trefflich als die “Stell’s dir rein-Mentalität” beschrieben, die die dortige Jugend wie in einem neuerlichen Fin de Siècle befindlich, erscheinen lässt, das das Verfallsstadium Münchens weit hinter sich zurücklässt.
Mit der Großstadtqualität Münchens im Unterschied zur Ländlichkeit der Marktgemeinde kommt man an dieser Stelle als Erklärung nicht weiter. In einem Ranking, wie nah die Zeitenwende jeweils bevorsteht, ist auf Platz eins Wolnzach, gefolgt von München, und erst auf Platz drei, obgleich fraglos pfiffig, Pfaffenhofen. Die Antwort darauf, wodurch dieses überraschende Ergebnis bedingt ist, übersteigt den momentanen Kenntnisstand des Autors.
Ich möchte mich noch einmal für den Zuspruch, und die Anregungen zum letzten Artikel bedanken, und hoffe, mit Unterstützung der Leser Licht in das Dunkel dieser letzten, meines Erachtens zentrale Fragestellung bringen zu können.
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